Das mammaLIFE-Gesundheitskonzept

Interview mit Florian Wiedemann über die Entstehung des Kur- und Nachsorgeprogramms für Frauen nach Brustkrebs.

In einem Interview mit dem mamazoneMAG spricht Florian Wiedemann über die Entstehungsgeschichte und die Ziele von mammaLIFE. Aber auch über Auswirkungen von achtsamkeitsbasierten Ansätzen wie Yoga und Meditation auf den Umgang mit einer Brustkrebserkrankung berichtet der Gesundheitswissenschaftler und Achtsamkeitslehrer. Das Interview zeigt auch, was vielleicht anders ist bei mammaLIFE im Vergleich zu bekannten Formen von Kur oder Reha.

Das gesamte Interview kannst du hier als pdf lesen.

Das mammaLIFE Gesundheitskonzept

INTERVIEW VON ULLI KAPPLER MIT DR. RER. MEDIC. FLORIAN WIEDEMANN

Dr. Florian Wiedemann, Diplom-Sportwissenschaftler, Lehrer für achtsamkeitsbasierte Stressbewältigung und Lehrbeauftragter für Gesundheitspsychologie an der TU München entwickelte ein interessantes Konzept, das Brustkrebspatientinnen auf ihrem ganz persönlichen Weg der Heilung unterstützen soll. mamazone wollte es genauer wissen und sprach mit dem Sportwissenschaftler über seine Erkenntnisse, das Konzept und sein Engagement.

mamazone: Herr Wiedemann, was war der Auslöser dafür, dass Sie sich als diplomierter Sportwissenschaftler überhaupt mit dem Thema Brustkrebs beschäftigt haben?

Dr. Wiedemann: Eine Brustkrebserkrankung in meiner eigenen Familie in meiner Jugend hat mich dafür sensibilisiert. Seit ich dann während meines Studiums erstmals von den positiven Auswirkungen körperlicher Bewegung bei Krebserkrankungen erfahren habe, hat mich dieses Thema nicht mehr losgelassen. Immer wieder beschäftigte mich die Frage, wie man Krebspatienten unterstützen kann, um selbst aktiv an der eigenen Genesung mitzuwirken. Dass dabei nicht nur Sport eine wichtige Rolle spielen würde, sondern auch andere Faktoren wie Ernährung oder das psychische Wohlbefinden, war für mich selbstverständlich. Als ich dann im Rahmen meiner Doktorarbeit gesehen habe, dass das, was ich zunächst nur vermutete, durch wissenschaftliche Erkenntnisse teilweise schon bestätigt worden war, wuchs der Wunsch, diese Erkenntnisse zu einem ganzheitlichen Konzept zusammenzufügen und damit Brustkrebspatientinnen bei ihrer Gesundung zu unterstützen.

mamazone: Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse sind das?

Dr. Wiedemann: Zunächst einmal die eigentlich simple Erkenntnis, dass man einer Krebserkrankung nicht hilflos ausgeliefert ist, sondern selbst aktiv an seiner Heilung oder Regeneration mitarbeiten kann. Vor nicht allzu langer Zeit galt beispielsweise noch die Devise, sich im Falle einer Krebserkrankung möglichst zu schonen. Inzwischen ist es allgemein anerkannt, dass körperliche Bewegung die Nebenwirkungen der Krebstherapie sehr gut lindern und darüber hinaus die Leistungsfähigkeit steigern kann. Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass regelmäßiger moderater Sport bei Brustkrebs auch die Wahrscheinlichkeit eines Rezidivs reduzieren kann. Hinsichtlich Ernährung und Stressreduktion ist die Datenlage nicht ganz so einheitlich, dennoch kann man festhalten, dass diese Faktoren unbedingt einen positiven Einfluss auf die Lebensqualität haben.

mamazone: Sie haben eine Studie mit 92 an Brustkrebs erkrankten Frauen durchgeführt und im Dezember 2016 veröffentlicht. Worum ging es in dieser Studie?

Dr. Wiedemann: Ich habe die Studie im Rahmen meiner Promotion durchgeführt. Wir wollten herausfinden, inwiefern sich Yoga als unterstützende Maßnahme während der adjuvanten Therapie eignet. Dafür haben wir Frauen, die gerade Bestrahlung, Chemo- oder Hormontherapie erhielten, zwei unterschiedlichen Gruppen zugelost. Die eine Gruppe erhielt 12 Wochen lang einmal pro Woche Iyengar Yoga-Unterricht und die andere Gruppe genauso oft Bewegungstherapie. In der Analyse zeigte sich dann, dass beide Maßnahmen einen positiven Einfluss auf die Lebensqualität und einige therapiebedingte Nebenwirkungen wiez.B. Verdauungsbeschwerden hatten. Es zeigte sich aber auch, dass sich die Frauen “vertiefen“ konnten, als in die Übungen der Bewegungstherapie. Ausserdem beobachteten wir Zusammenhänge zwischen diesem tieferen inneren Erleben während der Übungen und wichtigen Faktoren der psychischen Gesundheit wie Lebenszufriedenheit, emotionale Stabilität und Achtsamkeit.

mamazone: Können Sie etwas genauer erklären, was Achtsamkeit bedeutet?

Dr. Wiedemann: Das Konzept der Achtsamkeit ist ein Element in der buddhistischen Praxis. In den letzten 40 Jahren ist die westliche Wissenschaft darauf aufmerksam geworden und hat festgestellt, dass Achtsamkeitsübungen helfen können, besser mit Belastungen und Stress umzugehen. Ein wichtiger Aspekt dabei ist das bewusste Wahrnehmen UND Akzeptieren des gegenwärtigen Moments — ohne ihn zu bewerten. Auf diese Weise lernt man, schwierigen Gedanken oder Gefühlen auf eine andere Weise zu begegnen und liebevoller mit sich selbst umzugehen.

mamazone: Was passiert in unserem Körper während dieser Übung?

Dr. Wiedemann: Auch wenn die Forschung dazu noch in den Kinderschuhen steckt, gibt es bereits einige interessante Studien. Es stellte sich heraus, dass das regelmäßige Üben von Achtsamkeit Spuren in unserem Gehirn hinterlässt. So konnten in Gehirnarealen, die für die Steuerung der Aufmerksamkeit oder für die Regulation von Emotionen und Stress zuständig sind, schon nach wenigen Wochen regelmäßiger Achtsamkeitsübungen Veränderungen beobachtet werden. Einige Studien konnten daneben positive Auswirkungen auf das Immunsystem, z.B. auf die Antikörperkonzentration zeigen.

mamazone: Wie entstand die Idee, ein ganzheitliches Brustkrebs-Nachsorge-Konzept, das gleichzeitig ein Vorsorge-Konzept sein könnte, zu entwickeln und was ist neu an diesem Konzept? Sowohl Yoga, als auch Bewegung haben ja inzwischen auch Eingang in übliche Reha-Maßnahmen gefunden.

Dr. Wiedemann: Ich hatte den Eindruck, dass all diese vielversprechenden Erkenntnisse aus der Wissenschaft in der Versorgung von Frauen mit Brustkrebs noch nicht ausreichend berücksichtigt werden. Dabei geht es nicht nur um den Einsatz einzelner Maßnahmen wie die Achtsamkeitsübungen, sondern vor allem um einen anderen Blick auf die Erkrankung - und noch wichtiger: auf den Menschen. Nach wie vor stehen meistens die Erkrankung und die Defizite im Mittelpunkt. Auch in der Rehabilitation. In unserem Programm versuchen wir, bewusst auf das zu schauen, was funktioniert: Wie können wir gesundheitliche Ressourcen stärken? Wie kann ein glückliches, zufriedenes Leben auch mit Erkrankung gelingen? Und ganz wichtig: Wie lässt sich all dies möglichst dauerhaft in das persönliche Leben integrieren?

mamazone: Wie sieht das Programm konkret aus?

Dr. Wiedemann: Am Anfang steht eine 3-wöchige sogenannte „Kompaktkur“ in Bad Tölz. Das ist eine Sonderform der ambulanten Badekur, die in einer festen Gruppe von etwa sechs bis zehn Patientinnen stattfindet. In der Kur wird der Grundstein gelegt. Zum Einsatz kommen dabei ausschließlich Maßnahmen, die, wissenschaftlich fundiert, nachweislich die Lebensqualität und Prognose von Frauen mit Brustkrebs verbessern können – z.B. wie das schon erwähnte Achtsamkeitstraining, aber auch die Bewegung in der Natur, Yoga, Meditation, Ernährungsberatung mit gemeinsamem Kochen und natürlich psychoonkologischen Gesprächen. Das Besondere dabei ist, dass das Ganze nicht in einer Klinik stattfindet, sondern die Frauen ihre Unterkunft im Kurort selbst wählen können und trotzdem nach neuesten medizinisch-gesundheitswissenschaftlichen Kriterien betreut werden.

mamazone: Ein häufiges Problem besteht ja darin, dass man viele Dinge, die man während einer Kur gelernt hat, im Alltag nicht mehr umsetzt…

Dr. Wiedemann: Mein Team und ich betreuen die Teilnehmerinnen auch nach der Kur noch. Dafür haben wir eine App entwickelt, mit der z.B. alle Meditationsübungen ständig verfügbar sind. Dazu kommt ein Coaching-Kalender, der den Frauen hilft, Ihre eigenen Visionen und Ziele zu finden und diese dann auch zu erreichen. Ausserdem werden im ersten halben Jahr nach der Kur regelmäßig telefonische Beratungsgespräche angeboten.

mamazone: Für wen ist die Kompaktkur gedacht?

Dr. Wiedemann: Das Programm richtet sich an Frauen mit Brustkrebs, die sich in kurativer Behandlung befinden. In manchen Fällen kann mammaLIFE direkt im Anschluss an die Primärtherapie durchgeführt werden. Zum Beispiel, wenn eine Frau nicht in eine Reha-Klinik gehen möchte.Ansonsten bietet sich das Programm aber auch später als Zweit- oder Festigungskur an.

mamazone: Das klingt alles sehr verlockend – aber: Wer zahlt diese Kur?

Dr. Wiedemann: Die Kompaktur ist eine Regelleistung der gesetzlichen Krankenkassen. Diese übernehmen bei Genehmigung die Kosten für die ärztliche Therapie und die Gruppenmaßnahmen. Zudem gibt es einen Zuschuss zu Übernachtung und Verpflegung. Auch die privaten Krankenversicherungen und Beihilfestellen übernehmen die Therapiekosten in der Regel. Die Betreuung im Anschluss an die Kur muss momentan allerdings noch privat finanziert werden. Wir arbeiten aber daran, dies zu ändern.

mamazone: Vielen Dank Herr Dr. Wiedemann für das interessante Gespräch.


mamazoneMAG | Juni 2017

Das gesamte Interview kannst du hier als pdf lesen.

Benedikt Fuhrmann

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