Das mammaLIFE-Nachsorgeprogramm für Frauen mit Brustkrebs

In diesem Fachartikel, erschienen 2019 in der “Deutschen Zeitschrift für Onkologie”, werden die Hintergründe und das Konzept zu mammaLIFE ausführlich erläutert. Das Konzept hat sich zwischenzeitlich zwar etwas weiterentwickelt, dennoch gibt der Beitrag einen guten Einblick in wissenschaftlichen Grundlagen und die Inhalte von mammaLIFE.

Den kompletten Artikel kannst du auch als pdf lesen.

Das mammaLIFE-Nachsorgeprogramm für Frauen mit Brustkrebs

Es gibt zunehmend Evidenz, dass Krebspatient*innen auch während und nach der Krebstherapie von Verhaltensänderungen und supportiven Lebensstilinterventionen profitieren. Gleichzeitig ist, v. a. bei Frauen mit Brustkrebs, ein steigendes Interesse hinsichtlich eigenverantwortlicher Unterstützung des Heilungsprozesses zuverzeichnen. Anhand des mammaLIFE-Konzepts wird eine gesundheitspsychologisch fundierte Möglichkeit vorgestellt, diese Erkenntnisse in die medizinische Versorgung zu integrieren.


Hintergrund

Das mammaLIFE-Programm ist ein modernes Nachsorgekonzept für Frauen nach einer Brustkrebserkrankung mit dem Ziel, die Gesundheitsressourcen, Selbstwirksamkeit und Eigenverantwortung zu stärken. Grundlegend für die Konzeption ist ein systemisch-ressourcenorientiertes Gesundheitsverständnis, welches Gesundheit als einen fortlaufenden Prozess der (Wieder-)Herstellung eines homöostatischen Gleichgewichts betrachtet [7, 13]. Diesem Verständnis zufolge geht Gesundheitsförderung mit kontinuierlicher Veränderung und lebenslangem Lernen einher. Dabei ist eine der zentralen Fragen, auf welche Weise gesundheitsförderliche Adaptations- und Veränderungsprozesse optimal unterstützt werden können.

Das sozial-kognitive Prozessmodell der Verhaltensänderung von Schwarzer gilt als eines der anerkanntesten Modelle, um gesundheitsbezogene Verhaltensänderungen zu beschreiben [11]. Dabei wird im Verlauf einer Verhaltensänderung neben einer Motivationsphase, in welcher die Absicht, etwas zu verändern, ausgebildet wird, auch eine Willensphase (Volition), in welcher die neuen Verhaltensweisen aufrechterhalten werden, berücksichtigt. In beiden Phasen hängt der Erfolg wesentlich von der Selbstwirksamkeitserwartung der Person ab, also der subjektiven Überzeugung, herausfordernde Ereignisse selbst wirksam beeinflussen zu können [9].

Ein weiteres wichtiges Konzept in diesem Zusammenhang ist Aaron Antonovskys Idee der Salutogenese, in welchem mit dem Kohärenzgefühl ein grundlegender Faktor für die Entwicklung von Gesundheit herausgearbeitet wurde [1]. Im Rahmen des mammaLIFE-Programms wird den drei zentralen Komponenten von Antonovskys Kohärenzgefühl (Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit) durch entsprechende Wissens- und Kompetenzvermittlung, aber auch durch Beschäftigung mit Fragen zu Lebenszielen und -sinn Rechnung getragen.

Das mammaLIFE-Konzept beinhaltet weiter einen längerfristigen Betreuungsprozess, der sich methodisch am sozial-kognitiven Prozessmodell von Schwarzer orientiert.

Das Programm untergliedert sich demnach in zwei zentrale Komponenten.


Die Kompaktkur (Phase 1)

Die Brustkrebs-Kompaktkur ist primär in der Motivationsphase von Schwarzers Modell zu verorten. Eine Kompaktkur ist eine therapeutisch intensive Variante der ambulanten Vorsorgemaßnahme im Krankheitsfall in einem anerkannten Kurort nach §23 SGB V. Die 3-wöchige Kompaktkur ist indikationsbezogen (Mammakarzinom) und verbindet die hohe Therapiequalität eines klassischen Reha-Aufenthalts mit der Freiheit der sogenannten ambulanten Bade-Kur. Die Kompaktkur umfasst ausschließlich Maßnahmen, die die Rekonvaleszenz unterstützen und die Lebensqualität von Brustkrebspatientinnen nachweislich verbessern. Ziel der Kompaktkur, die im Kurort Bad Tölz durchgeführt wird, ist die Ausbildung einer stabilen Selbstwirksamkeitserwartung der Teilnehmerinnen, um so die Grundlage für eine gesundheitsförderliche Lebensweisezu schaffen.

Elemente der Kompaktkur:

  • Ärztliche Betreuung

  • Psychoonkologische Einzelberatung

  • Achtsamkeitsbasierte Stressbewältigung (nach MBSR)

  • Aerobes Ausdauer- und Krafttraining

  • Yoga

  • Ernährungsschulung und -beratung

  • Physikalische, Balneo- und Hydrotherapie

  • Physiotherapie und Massage

  • Begleitende verhaltenstherapeutische und gesundheitspsychologische Patienten-Gesprächsseminare (Lebensordnung, Ziele, Spiritualität, naturheilkundliche Selbsthilfe)

Durch die Tatsache, dass die Kur in einem nicht-klinischen Setting stattfindet, sondern die Teilnehmerinnen ihre Unterkunft frei wählen können, fällt es vielen Frauen leichter, sich von einer oftmals dominierenden krankheitsorientierten Sichtweise zu lösen. Wichtig ist zudem, dass sämtliche gesundheitsfördernden Maßnahmen in einer festen Gruppe stattfinden, sodass von Einheit zu Einheit individuelle Lern- und Veränderungsprozesse angeregt bzw. begleitet werden können.


Begleitung im Anschluss an den Aufenthalt (Phase 2)

Die Weiterbetreuung nach dem Aufenthalt stellt neben der Kompaktkur das zweite wichtige Element im mammaLIFE-Konzept dar. Die Unterstützung der Teilnehmerinnen bei der Umsetzung ihrer persönlichen Gesundheitsvorhaben im Alltag ist in erster Linie der Volitionsphase nach Schwarzer zuzuordnen. Diese Phase ist das instabilste Stadium eines Veränderungsprozesses. Um einen Rückfall in alte Verhaltensmuster zu vermeiden, ist eine professionelle Begleitung zur Verankerung des Zielverhaltens im Alltag sinnvoll. Diese Begleitung muss jedoch nicht zwingend vor Ort geschehen.

Das sogenannte „Distance Lifestyle Counselling“ hat sich als effektives Mittel zur Förderung von gesundheitsförderlichem Verhalten, u. a. bei Krebspatienten, bewährt [5, 6, 8, 12].

Die Nachbetreuungsphase beinhaltet diesbezüglich folgende Bausteine:

  • Coaching-Kalender: Kalenderbuch, das sowohl Fragen zur Selbstreflexion beinhaltet, als auch Maßnahmenplanung unterstützt

  • mammaLIEF-Manual: Teilnehmerunterlagen mit Infos, praktischen Tipps und Hilfsmitteln für die Umsetzung im Alltag (z. B. Hintergrundwissen zu Bewegung, Stress, Ernährung, Kochrezepte usw.)

  • App: Applikation für Smartphones und Tablets mit Audios für Achtsamkeitsmeditation und Yoga, Ernährungs- und Bewegungstipps [3, 4]

  • Telefoncoaching: Regelmäßig durchgeführte telefonische Beratungsgespräche zur Besprechung von Schwierigkeiten und Erfolgen, aber auch von weitergehenden Fragen zur Umsetzung bzw. Stabilisierung der geplanten Vorhaben. Auch eine Neujustierung der vorgenommenen Ziele ist in diesem Rahmen möglich. Über einen Zeitraum von 6 Monaten finden 3 telefonische Beratungsgespräche à 20 Minuten statt.


Ziele der Maßnahme

  1. Initialisierung eines gesunden Lebensstils, durch

    • Selbstreflexion: Analyse gesundheitsbezogener Verhaltensweisen sowie der Zufriedenheit in relevanten Lebensbereichen (z. B. Beruf) Familie, Beziehungen, Körper, Selbstverwirklichung)

    • Kompetenzvermittlung: Stärkung der Selbstwirksamkeitserwartung in Bezug auf das Gesundheitsverhalten (z. B. Bewegung, Ernährung, Stressmanagement und Entspannung) und Stärkung des Kohärenzgefühls

    • Festigung: Alltagstransfer der im Rahmen der Kur vermittelten Kompetenzen

    2. Unterstützung einer aktiven, ressourcenorientierten Krankheitsbewältigung

    3. langfristige Verbesserung der multidimensionalen Lebensqualität durch psychische Stabilität, körperliche Leistungsfähigkeit und Förderung von Faktoren wie Optimismus oder Lebenszufriedenheit

  2. günstige Beeinflussung von (psychischen und körperlichen) Begleitsymptomen (z. B. Fatigue, Angst, Depressivität)

  3. Rezidivprophylaxe (Tertiärprävention)

Die Wirksamkeit des mammaLIFE-Programms soll in einer 2019 beginnenden randomisiert-kontrollierten Studie überprüft werden.


Fazit

Neuere Forschungsergebnisse zu positiven Auswirkungen des Gesundheitsverhaltens auf Krebserkrankungen einerseits und das steigende Bedürfnis von (Brustkrebs-)-Patient*innen nach aktiver, eigenverantwortlicher Krankheitsbewältigung andererseits verdeutlichen die Notwendigkeit, entsprechende Interventionen in die medizinische Regelversorgung zu integrieren. Auch wenn solche Maßnahmen bereits Bestandteil ärztlicher Leitlinien sind [2] und auch die gesetzlichen Krankenkassen die Bedeutung von Lebensstilfaktoren z. B. in den Richtlinien zum Disease-Management-Programm Brustkrebs betonen [10], ist bislang eine deutliches Angebotsdefizit in der deutschen Versorgungslandschaft festzustellen. Programme wie das hier vorgestellte könnten Modellcharakter für eine flächendeckende Versorgung haben. Auch die Anwendung bei anderen Krebsentitäten und chronischen Erkrankungen gilt es zu erproben und zu erforschen.

Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2019; 51: 45–47

Literatur in der pdf-Version des Artikels.

Benedikt Fuhrmann

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