Auch mal an die Psyche denken

Ein kleiner Einblick in die Entstehung von mammalife sowie des Ortes, an dem die Kur stattfindet, der Alten Seifensiederei. Florian Wiedemann und eine Kur-Teilnehmerinnen erzählen von Ihren persönlichen Erfahrungen mit mammalife.

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Auch mal an die Psyche denken

Wo sein Großvater noch Waschmittel herstellte, bietet Florian Wiedemann heute eine Kur für Brustkrebspatientinnen an. Eine Kur, wie es sie nur einmal in Deutschland gibt.

Zum Beispiel Eva: Sie ist 50, sie ist Grafikdesignerin, sie kommt aus Berlin. 2023 wurde bei ihr Brustkrebs diagnostiziert, ein Jahr lang dauerte die Behandlung. Sie wurde operiert und bestrahlt, sie bekam Chemo – und starke Medikamente. Jetzt, im Frühling 2025, sitzt sie hier, im lässig eingerichteten Café der Alten Seifensiederei, sie lächelt einen an. Sie sagt: „Diese Kur zu machen, ist die beste Entscheidung, die ich in meinem Leben getroffen habe.“

„Diese Kur“ ist das dreiwöchige Programm Mammalife, das der promovierte Sport- und Gesundheitswissenschaftler Florian Wiedemann vor Jahren konzipiert und bei den Kassen als Kassenleistung durchgefochten hat. Das er 2018 anzubieten begann und seit inzwischen auch schon wieder zwei Jahren in den Räumen stattfinden lässt, in denen vor über 100 Jahren sein Ururgroßvater Joseph Anton Wiedemann noch Seifen, Waschmittel und Bleichsoda (Hausmarke „Isarperle“) hergestellt hat.

Mammalife ist etwas, sagt er selbst, das es in der Form in Deutschland sonst nicht gibt. Die „ganzheitliche Kompaktkur“ ist eine Rundum-Nachsorge für Brustkrebspatientinnen, die die Krankheit überwunden haben, rein äußerlich. Aber natürlich noch zu kämpfen haben mit den Nachwehen der Tatsache, dass von einem Tag auf den anderen nichts mehr ist wie vorher. Er sagt: „Viele Frauen quält die Sorge, dass der Krebs wiederkommt.“ Wenn sie aber als geheilt gelten, will davon kaum mehr jemand was wissen. Der Fokus auch bei der herkömmlichen Reha liegt eher darauf, die Betroffenen wieder arbeitsfähig zu machen. Genau hier setzt Florian Wiedemann an.

Ein Café nicht nur für Patientinnen

Wir treffen uns mit ihm wie später auch mit Eva in dem Café, das er gemeinsam mit seiner Frau und einer Freundin als Teil des Seminarzentrums betreibt. Die Tische haben sie teils selbst entworfen, etwa den, an dem man mit ihm sitzt: Die Platte ist gefertigt aus denselben schön gemusterten Fliesen, die im Thekenbereich für die Wand verwendet worden sind. Darüber eine Lampe aus Wollfäden: „Die hat meine Frau gemacht.“ Holzboden. Die Stühle stammen aus einem Theater in Dortmund. „Es hat total Spaß gemacht, das alles zusammenzusuchen.“

Eigene Bedürfnisse wahrnehmen

Ihn habe schon immer das Ineinandergreifen von Seele und Körper interessiert, sagt der 43-Jährige. Seine Doktorarbeit schrieb er dann genau darüber: inwiefern sich emotionale Stabilität auswirkt aufs Gesundwerden von Frauen, bei denen ein Knoten in der Brust festgestellt worden ist. Und als er dann promoviert war, ließ ihn das Thema nicht mehr los. Schon während des Studiums hatte Wiedemann sich zum Yogalehrer ausbilden lassen. Hatte selbst mit Meditation begonnen, eine MBSR-Weiterbildung gemacht. MBSR, das steht für Mindfulness-Based Stress Reduction und ist eine Art Achtsamkeitstraining. Ihm war längst klar, wie sehr Yoganicht nur die Beweglichkeit dessen fördert, der es

praktiziert, sondern sich auch mental auswirkt. Er sagt: „Ich hab’ dann den Wunsch gehabt, in dem Bereich was zu machen.“ Was ihm vorschwebte, war eine Alternative beziehungsweise Ergänzung zur üblichen Reha. Seine Kur, die er in den ersten fünf Jahren noch ambulant angeboten hat, setzt all das, was er selbst erfahren hat, was er erforscht hat, um. Das Tri-Yoga ist speziell auf die Bedürfnisse von Frauen mit Brustkrebs abgestimmt, und natürlich weiß er, dass Bewegung in der Natur, die bei Mammalife auch auf dem Programm steht, und zwar in kleineren Gruppen, „die Wahrscheinlichkeit eines Rezidivs“, einer Wiedererkrankung also, „reduzieren kann“. Ziel sämtlicher Programmpunkte von Qigong übers Achtsamkeitstraining bis zu den Gruppengesprächen, bei denen auch Ängste formuliert werden können, ist immer, Selbstwirksamkeit und Eigenverantwortung der Betroffenen zu stärken. Es geht auch darum, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen und entsprechend zu berücksichtigen. Wobei die Vormittage in der Regel gefüllt sind mit Gruppenangeboten, nachmittags finden dann Einzelbetreuungen statt. Psychoonkologische Gespräche etwa,Physiotherapie, Lymphdrainage, Massage oder Wärmetherapie, außerdem Ernährungsberatung – weil es eben auch beim Essen nicht das eine Rezept gibt, das für alle gilt.

Seminare zu Themen wie „Brustkrebs und Traditionelle Chinesische Medizin“ oder „Ganzheitliche Onkologische Therapie“ ergänzen den Therapiekalender. Das Ganze wird immer begleitet von Kurärzten, und wer will, bucht später Auffrischungswochen und Vertiefungskuren.

Wiedemann sagt, eine Brustkrebsdiagnose ziehe einem „natürlich den Boden unter den Füßen weg“. Viele Betroffene schalten erstmal in einen „Funktionsmodus“, irgendwie muss man das, was aus der Diagnose folgt, ja überstehen. Und wenn der Krebs besiegt, auch die erste Zeit der Nachsorge geschafft ist? „Dann sehen die Patientinnen wieder aus wie früher. Aber vieles ist einfach anders geworden. Die alte Kraft ist noch nicht wieder da.“ Wiedemann sagt auch: „Die Rückmeldungen, die ich erhalte, gehen dahin, dass das Psychische zu kurz kommt.“

Wie gesagt, in seiner Kur ist das anders. Wobei die Kur eben rein von den Örtlichkeiten her so gar nicht nach Kur aussieht. Das hat auch Eva gleich zu Beginn des Gesprächs gemeint: wie sehr sie es genießen würde, „dass hier von einem klinischmedizinischen Ambiente nichts zu spüren ist“.

Ein aufwendiger Umbau

Höchste Zeit, noch ein wenig über das Gebäude, die Alte Seifensiederei, zu erfahren. Die war, erzählt Wiedemann, bis 1960 in Betrieb. Seine Vorfahren, auch noch der Großvater, stellten Seifen händisch her, konnten irgendwann dann aber mit den industriell gefertigten Produkten der Konkurrenz nicht mehr mithalten. Und begannen damit, einen Drogerie-Großhandel, dann eine Parfümerie-Kette, aufzubauen. Derweil vermietete die Familie die einstige Produktionsstätte in der Bairawieser Straße. Bis Wiedemann vor fünf Jahren mit seiner Frau Veronika hier bei einem Spaziergang vorbeikam. Und beiden plötzlich klar wurde, dass sich aus dem aufgelassenen Betriebsareal, das mit zwei Gebäudekomplexen einen Hof umschließt, genau die „Wohlfühloase“ machen lassen würde, die Wiedemann ja schon länger vorschwebte.

Wie auch die Entwicklung von Mammalife am Ende ein „langer Weg“ war, so lief es dann auch mit den Bauarbeiten – die Angelegenheit wurde aufwendiger als gedacht. Erst hatten sie nur Seminarund Gemeinschaftsräume schaffen wollen, dann entschieden sie, auch gleich Unterkünfte für die Kurgäste zu errichten. Neun Apartments, alle mit Küche, sind entstanden – und werden außerhalb der Kurzeiten auch anderweitig vermietet. „2021 haben wir zu bauen begonnen, 2023 konnten wir eröffnen.“

Für manche eine Chance, das eigene Leben zu überdenken

Eva? Ist jetzt in der dritten von drei Wochen. Sie sagt, wie sehr sie hier „die Ruhe“ genießt. Erzählt, dass sie sich beruflich umorientieren wird, schon in Berlin hat sie sich, weil sie zu allem Überfluss während der Krankheitsphase auch noch den Job verlor, weiterbilden lassen zur Sterbe- und Trauerbegleiterin. „Da kann ich die Expertise der eigenen Erkrankung einfließen lassen.“ Sie trinkt kaum mehr Alkohol, sie will künftig gesünder kochen, mehr Bitterstoffe zu sich nehmen, sich viel bewegen. In der Gruppe ist noch eine Frau aus Berlin: „Ich denke, wir gehen, wenn wir zurück sind, regelmäßig zusammen zum Walken.“ Und dann sagt Eva, die die letzten zwei Jahre in einem Alptraum verbracht hat, einen ziemlich erstaunlichen Satz. Er lautet: „Ich hab’ vor nichts mehr Angst.“ Sie werde wiederkommen. Damit ist sie übrigens nicht die Einzige. Bei Mammalife arbeiten zwei Yogalehrerinnen, die einst als Kur-Teilnehmerinnen nach Tölz gekommen waren.



Text: Andrea Kästle

Fotos: Benedikt Fuhrmann

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Benedikt Fuhrmann

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Achtsamkeit bei Brustkrebs